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- Der Kampf von 44 KollegInnen in München für ihre Rechte -

 

Am Mittwoch, den 13.April 2011 klagte der Letzte von 35 türkischen WerkvertragsarbeiterInnen seinen Lohn gegen die Bosse des Unternehmens ARA ein. Damit gab das Landesarbeitsgericht München den ursprünglich 44 BauarbeiterInnen (neun hatten angesichts des Drucks ihre Klagen zurückgezogen) nachträglich Recht und sprach ihnen bis zu 16 000 Euro Lohnnachzahlungen zu. "Nach zwei Jahren hat sich die Hartnäckigkeit der Arbeiter endlich ausgezahlt!", so Nihal Ulusan, die Anwältin der bulgarischstämmigen WerkvertragsarbeiterInnen aus der Türkei.

 

Was sind Werkvertragsarbeitsverhältnisse?

 

Die ArbeiterInnen kamen im Rahmen der Werkvertragsarbeit aus der Türkei nach München. Diese basiert seit 1988 auf bilaterale Abkommen zwischen Deutschland und elf Ländern Osteuropas sowie der Türkei. Grundlage ist die Entsendung ausgehandelter Kontingente von WerkvertragsarbeiterInnen aus den jeweiligen Vertragsländern nach Deutschland. Diese dürfen nur für einen begrenzten Zeitraum (6 - 24 Monate) in ausgewählten Sektoren (Bau, Gebäudereinigungsgewerbe, etc.) eingesetzt werden. Dabei lassen sich die Menschen von Subunternehmen rekrutieren, die den organisatorischen Teil der Entsendung und des Aufenthalts übernehmen, um - ähnlich wie Zeitarbeitsfirmen - die "Arbeitskraft" an andere Unternehmen weiter zu vermieten. Eine äußerst perfide Methode der kapitalistischen Verwertung der Ware Arbeitskraft, die an modernes Sklaventum erinnert, denn die Aufenthaltserlaubnis ist an das Arbeitsverhältnis gebunden. Zudem ist ein Arbeitsplatzwechsel ausgeschlossen, die Wohn- und Arbeitssituation mehr als prekär.

 

Wie sahen die Arbeitsbedingungen der 44 KollegInnen aus?

 

Ihnen wurde weder der gesetzliche Mindestlohn (12,85 Euro) noch der mündlich vereinbarte Stundenlohn von meist 4,50 Euro ausgezahlt. Stattdessen erhielten sie überwiegend nur etwa 3 Euro Stundenlohn ausgehändigt. Sie mussten massiv Überstunden leisten und haben keinen Urlaub erhalten. Einige der 44 KollegInnen sind des Lesens und Schreibens kaum mächtig. Alle leisteten mehrere Blankounterschriften (Kontovollmacht, Schuldscheine, Urlaubsantrag, Zahlungsnachweise, etc.), mit denen das Subunternehmen in der Lage war, offizielle Dokumente - vom Stundenzettel bis zu Zahlungsnachweisen - zu fälschen. Damit täuschten sie einerseits ein legales Vorgehen des Unternehmens vor, schafften sich aber gleichzeitig auch Möglichkeiten, die ArbeiterInnen unter Druck zu setzen. Erkämpfte und tarifvertraglich geregelte Rechte müssen - zumindest theoretisch - auch WerkvertragsarbeiterInnen gewährt werden. Wie dieser Fall wieder zeigt, werden sie aber häufig systematisch umgangen. Den faktischen Sklavenstatus dieser Arbeitsverhältnisse dokumentieren deren prekäre Wohn- und Lebensverhältnisse, bei denen die ArbeiterInnen ständig von Illegalisierung bedroht sind, die rücksichtslose Auspressung durch die Bosse sowie das beredte Schweigen der sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften.

 

Wie kam der Stein ins Rollen?

 

Im Gegensatz zu vielen anderen WerkvertragsarbeiterInnen entschlossen sich die 44 bulgarisch-türkischen BauarbeiterInnen und ihre Familien - nach einer Baustellenrazzia des Zolls - Widerstand zu leisten und Klage zu erheben. Sie suchten sich UnterstützerInnen in der Münchner Linken, machten auf ihren Fall öffentlich aufmerksam, kämpften für angemessene Wohnungen. Im Mai 2009 reichten sie Klage ein und am 3.Juli des selben Jahres war der erste Verhandlungstag vor dem Arbeitsgericht in der bayerischen Landeshauptstadt. Die Männer und Frauen waren, ohne Arbeitsverhältnis und somit mit erloschener Aufenthaltsgenehmigung, längst
wieder in der Türkei.

Die beteiligten SubunternehmerInnen bedrohten die ArbeiterInnen und ihre Familien in der Türkei systematisch mit erpressten Schuldscheinen und forderten die Rücknahme der Klagen. Gleichzeitig zweifelten sie die gefaxten Vollmachten der ArbeiterInnen für ihre Anwältin vor Gericht an. Die Generalunternehmen bzw. die AuftraggeberInnen - unter ihnen der ADAC und die Münchner Immobilien Gruppe, verantwortlich für den Bau des Skyline Tower - streiten nach wie vor jede Verantwortung ab. Die Klassenjustiz der Stadt (Staatsanwaltschaft) zeigt keinerlei Anzeichen, gegen die beteiligten Unternehmen vorzugehen bzw. Anklage zu erheben.